Katastrophe oder was?
Nachdem wir im Januar/Februar 6 Wochen mit dem Kollektiv LaFleur am Theater Bremen und La Commune in Paris gearbeitet haben, hat uns die Corona-Pandemie kurz nach unserer Ankunft in Kinshasa eingeholt. Seit Ende März sind wir im Lockdown in Kinshasa. Hier wohnen wir eigentlich in einem der populären Vierteln, das hauptsächlich von der kongolesischen Mittel- und Unterschicht bewohnt wird. Es ist ein sehr lebhaftes Viertel mit tollen Bars, Night-Clubs aber auch Kirchen, Märkte etc. Am Anfang der Corona-Pandemie wurde ein totaler Lockdown während 2 Wochen angekündigt, aber nur für das Viertel „Gombe“, was das reichste Viertel von Kinshasa ist und zu dieser Zeit noch der Corona-Hotspot durch viele internationale Reisende war. Als ehemaliges Viertel der Kolonialherren ist Gombe bis heute hauptsächlich von Expats bewohnt. Es ist ein gut abgesichertes Viertel, und weil sich auch die Deutsche Botschaft dort befindet, haben wir uns entschieden den 14-Tägigen Lockdown innerhalb von Gombe zu verbringen, in einem Apartment von Freunden die aufgrund der Pandemie zurück nach Deutschland gereist sind. Wir wollten uns den Zugang zur Botschaft sichern falls es zu einer Evakuierung deutscher Bürger*innen kommen sollte und weil wir befürchtet haben, dass es in unserem eigenen Viertel zu Gewaltausbrüchen, Polizeigewalt und Demonstrationen kommen könnte. Das war Ende März, und heute sind wir schon seit mehr als 2 Monate in Gombe eingeschlossen: nach einem 14-Tägigen, totalen Lockdown, während dem es verboten war die Wohnung zu verlassen, dürfen wir uns in Gombe frei bewegen, aber die Barrieren die Gombe von den anderen Stadtteilen trennen sind geblieben. Bis jetzt ist die Katastrophe in unserem Heimatviertel ausgeblieben – und wir sind noch im Leben anderer eingeschlossen, einem Luxusleben das am Anfang sehr angenehm war, inzwischen aber immer langweiliger wird. Unsere Freunde und Familie sind auf der anderen Seite der Barriere, und langsam haben wir Angst als richtige „Mikilisten“ wahrgenommen zu werden: Mikilisten sind Leute, die nach Europa reisen oder aus Europa kommen, sehr viel Geld haben und sich durch ihre Reisen fühlen, als wären sie auf einem „höheren Niveau“ als Leute die aus Geld-, Karriere- oder Visagründen nicht reisen können. Ein Image, gegen das wir seit Jahren ankämpfen. Die Sicherheitsleute des Gebäudes in dem wir im Moment wohnen haben uns am Anfang „Boss“ und „Madame“ genannt, da mussten wir ihnen erst mal erklären dass wir hier nur Schmarotzer sind. Wir haben einen Pool, und von dem Balkon aus sieht man den Golfplatz, der während der Kolonialzeit angelegt wurde, um die Kolonialherren von der lokalen Bevölkerung zu trennen. Dieser Platz wurde nach den Flugmöglichkeiten von Moskitos bemessen: die Distanz kann von Stechmücken nicht überwunden werden und diente den Kolonialherren als Schutz vor Malaria.
Aktuell bereiten wir die zweite Edition der kollaborativen Ausstellung „Laboratoire Kontempo“ in Kinshasa vor. Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Kinshasa und den lokalen Kulturzentren Plateforme Contemporain, Bomoko Connexion und Aw’art.
Im Rahmen des „Laboratoire Kontempo“ beschäftigen wir uns mit den postkolonialen Ansätzen des Posthumanismus um die eurozentrischen, humanistischen Ideale und deren epistemische Hierarchie zu dekonstruieren:
Die sozio-psychologischen Konstruktionen des „westlichen“ weißen, heterosexuellen, nicht- beeinträchtigten, gebildeten Mannes als ideale menschliche Kategorie sind durchaus aktuell. 1960 hat Frantz Fanon geschrieben, dass über die „dritte Welt“ und über Flüchtlinge mit Bezeichnungen gesprochen wird, die sie „weniger menschlich“ erscheinen lassen, da die Begriffe eigentlich Naturbeschreibungen oder der Tierwelt zugeordnet werden: eine „Sturmflut“, die Europa zu verschlingen droht, „Menschenhorden“ etc. Das sind Begriffe, die in der aktuellen Flüchtlingsdebatte wieder auftauchen: Flüchtlingswelle, Asyllawine, Flüchtlingsströme etc. Die
Die Kulturzentren sind wegen der Pandemie geschlossen, und wir entwickeln Strategien wie
Videos, virtuelle Performances oder Artist Talks im Livestream, um auf Distanz arbeiten zu können. Das ist nicht so leicht, weil viele Künstler*innen nicht durchgehend Zugang zu Strom und Internet haben, ausserdem sind die Internettarife sehr teuer und die Verbindung oft schlecht. Normalerweise wird alles über persönliche Kontakte organisiert « il faut to monana » (wir müssen uns treffen », sagen uns die Leute nach fast jedem Telefonat. Der Kunstkritiker, mit dem wir in dem Projekt arbeiten (aus Sicherheitsgründen wird sein Name hier nicht genannt) hat sogar das Risiko auf sich genommen, die Polizei zu bestechen um durch die Barriere zu uns kommen zu können. afrikanische Identität wird strukturell dehumanisiert. Diese Art der Berichterstattung hat eine lange Tradition und das europäische Bild des afrikanischen Kontinents nachhaltig geprägt. Das beobachten wir im Moment auch in der Berichterstattung in europäischen Medien zur Corona- Pandemie oder den Demonstrationen in der USA.Während europäische Medien für afrikanische Länder katastrophale Auswirkungen vorhersagen, sind diese Katastrophenszenarien bisher eher in Europa und den USA eingetroffen. Karen Attiah schrieb einen fiktiven Artikel in der Washington Post, wie ein Bericht über die aktuelle Situation in der USA aussehen könnte, wäre er über ein Land der „dritten Welt“ geschrieben worden wäre. Ein fiktives Zitat aus ihrem Artikel: “It’s sad that the Americans don’t have a government that can get them coronavirus tests or even monthly checks to be able to feed their families,” said Charlotte Johnson, a 18-year-old Liberian student activist, who survived the Ebola pandemic. “100,000 people are dead, cities are burning, and the country hasn’t had a day of mourning? Lives don’t matter, especially not black lives. It’s like they’re living in a failing state.”1
Was wir dagegen Beispielsweise in Kinshasa bisher beobachten ist ein vergleichsweise vernünftiger Umgang mit der Pandemie. Seit Mitte März begrüßen sich die Leute beispielsweise ohne Händeschütteln oder Umarmung, ohne dass die Regierung das angeordnet hatte und viele Institutionen haben Desinfektionsstationen angebracht. Die Regierung hat schon sehr früh, als noch kaum Corona-Fälle im Land bekannt waren die Grenzen geschlossen und alle größeren Versammlungen verboten, Schulen, Kirchen, Night-Clubs etc. geschlossen und eine Maskenpflicht eingeführt. Corona-Patienten werden in den dafür vorgesehenen Krankenhäusern umsonst behandelt. Hier zeigt sich die Erfahrung und Expertise, die Kinshasa mit Pandemien hat. Wir wissen nicht, wie sich die Pandemie in Kinshasa weiterentwickeln wird und ob die vorhergesagte Katastrophe noch eintrifft.
Persönlich haben wir in den letzten Jahren so einige Krisen-Strategien entwickeln müssen – Visaprobleme und Reisebeschränkungen sind für uns nichts neues. Christ Mukenge hat deshalb schon zwei seiner eigenen Premieren als Szenograf mit LaFleur in Paris und Stuttgart verpasst: Die genehmigte Visadauer reichte nicht für Probenzeit und Premiere.
Uns wird oft gesagt, unsere Arbeit sei so politisch. Dabei haben wir oft keine politische Intention, sondern geraten als kongolesisch/deutsches, transnationales Duo automatisch zwischen die Fronten. Ein kongolesischer Künstler, der auf einer deutschen Bühnen steht ist an sich schon ein politisches Statement, da ist erst mal egal was er dort tut. Das sagt aber weniger über unser persönliches politisches Interesse aus, als über die Zeit, in der wir Leben. Ein hauptberuflicher, kongolesischer Künstler mit akademischem Bildungshintergrund, der auch ohne politisches Statement eine deutsche Bühne gestalten kann, das ist ein Traum. Das würde nämlich heißen, dass die Qualität seiner Arbeit im Vordergrund steht, weil Hautfarbe und Nationalität gar kein Thema mehr ist und niemanden interessiert. Das ist im Moment noch nicht der Fall und wir bewegen uns zwischen unterschiedlichen Kulturen, Kontexten, Ökonomischen Realitäten, sozialen Systemen und Wirklichkeiten. Wir sind Versuchskaninchen für eine post-postkoloniale Realität. Es fühlt sich an wie ein Kraftfeld, charakterisiert durch Spannungen, verschiedene Gegensätze die in ihrer Stellung und Position zueinander ein Feld von Energie erzeugen. Wir haben uns entschieden, es in diesem Kraftfeld auszuhalten.
von Lydia Schellhammer und Christ Mukenge