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Ne divisez pas, mais solidarisez

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Nicht spalten, sondern solidarisieren

von Monika Gintersdorfer in Zusammenarbeit mit Dalel Bacre, Madhusree Dutta, Hauke Heumann, Sarah Israel, Octopus, Schellhammer/Mukenge, Felizitas Stilleke, Gregor Zoch

Dieser Text ist eine Reaktion auf Veröffentlichungen der letzten Monate zum Thema Klimaschutz und Reisen beziehungsweise NICHT-REISEN von Künstler:innen. Für mich sehr aufwühlend und bedrohlich, aber ich versuchs mit einer kühleren Bestandsaufnahme, bei der mir Künstler:innen und Kollektive in Gesprächen und E-Mails geholfen haben.

Klar, lasst uns klimabewusst arbeiten – wir als transnationale Performancegruppen können uns zu einigem bekennen: wir nehmen für innereuropäische Reisen in Zukunft den Zug, vor Ort fahren wir Fahrrad, wir haben schmale Teams, verwenden Bühnenbilder wieder usw. Alles ist möglich – nur eines sollten wir nicht: internationalen Künstler:innen das Reisen für ihre Arbeit verbieten oder es als rückständig markieren.

Wie steht‘s um die Bedeutung des interkontinentalen Austauschs?

Für Gruppen, die zwischen den Kontinenten operieren, sind transnationale Reisen notwendig, um physisch zusammenzukommen. Während Corona kommt plötzlich zwei neue Faktoren hinzu: das Zusammensein kann zur Gefährdung für Risikogruppen werden und es bestehen Reiseverbote, in einem immensem Ausmaß, deswegen sind jetzt Kombinationen aus analog und digital gefragt mit der Möglichkeit Anwesende und Abwesende zusammenzubringen.

Cocorporality bleibt aber ein hoher Wert, der nicht komplett durch Zoomkonferenzen ersetzt werden kann. Nicht jeder hat ein stilles Zimmer und perfekten Netzempfang. Gerade in einer Zeit, in der Mauern errichtet werden, brauchen wir Projekte, die in eine andere Richtung weisen, schreibt die brasilianische Choreografin Lia Rodrigues für TANZ im August. Als sie erfuhr, dass europäische Künstler:innen vorschlagen, Künstler:innen zu boykottieren, die das Flugzeug nutzen, war sie schockiert: „Man will nur wissen, was bequem ist, und indem man sich von den komplexeren Problemen fernhält, unterstreicht man die eigene privilegierte Position.“

Das deutsch-kongolesische Künstler:innenduo Schellhammer/Mukenge, erlebt bei der Vergabe von Visa und Aufenthaltstiteln regelmäßig rassistische Ungleichbehandlung und wird auseinander gerissen. Sie verweisen auf den Begriff „Klima-Kolonialismus“: Industrienationen leben ökologisch auf Kosten anderer Länder. Bei der Debatte um die Reduzierung von Reisen in der Kunstszene fordern sie, diesen Kontext mitzudenken. Wie wäre es mit Reparationsleistungen in einem Nord-Südausgleich?

Selbstbestimmungsrechte beschützen

Wie absurd jede Stellungnahme dazu werden muss, wenn nicht-europäische Künstler:innen ungefragt bleiben, wurde mir klar, als ich Till Brieglebs Text Konsequenzlähmung las, der im Magazin der Kulturstiftung des Bundes erschienen ist. Briegleb plädiert für Transparenz von Flugkilometern und Fleischverzehr im Kulturbetrieb und eröffnet die Option, auf transkontinentale Gastspiele komplett zu verzichten.

Das aber wäre ein unermesslicher Verlust an Perspektivwechseln, Kenntnissen und Formen und ein tiefer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht von Künstler:innen wie das der in Los Angeles lebenden mexikanischen Choreografin Dalel Bacre.

Bacre definiert sich über die Verbindungen zwischen den Kontinenten und hält Nomadismus für eine Künstler:innen inhärente Bedingung. Wie sie wenden sich viele betroffene Künstler:innen gegen absolutistische Vorstellungen von einer Realität, die uns alle unterschiedlich trifft und „die vor allem dazu führt, dass die Türen zu neuen Möglichkeiten verschlossen werden, die auch für die Erhaltung unserer eigenen Spezies wichtig sind – KÜNSTLER:INNEN.“

Migrationspolitik schafft viele Einschränkungen

Die Choreografin sagt stellvertretend, was viele denken: „Wir alle leben bereits mit genug Einschränkungen zwischen Ländern aufgrund der Migrationspolitik, wir kämpfen bereits genug, um für alle die gleichen Chancen zu schaffen, für viele Gemeinschaften oder ethnische Gruppen kostet es uns aus rassistischen Gründen doppelt so viel Mühe, unsere Arbeit zu präsentieren.“

Aber einen Schritt zurück: Tatsächlich teilen viele Künstler:innen einige von Brieglebs Vorschläge zur CO2 Reduktion. Nämlich die, die gleichzeitig künstlerische Nachhaltigkeit befördern: Wir, und damit meine ich viele international produzierende Künstler:innen, mit denen ich in den letzten Jahren gesprochen habe, einschließlich unserer eigenen Gruppe, möchten längere Aufenthaltszeiten von Künstler:innen an einem Ort und bessere Tournéeabsprachen zwischen Veranstalter:innen. Entschleunigung fördert die Gesundheit der Künstler:innen und den Kulturaustausch. Dafür brauchen wir ausreichend Residenzen und Gästewohnungen. So ließen sich Reisen um 50% reduzieren. Let’s go for it!

Falsche Lösung Diaspora

Nicht das wir vorher übermäßig gereist wären: Die Dramaturgin Sarah Israel meint dazu, dass es aufgrund der knappen Mittel in bei internationalen Kunstprojekten gemeinhin kaum einen überflüssigen Flug gibt.

Im weiteren Verlauf seines Texts vermischt Briegleb die Idee der Langlebigkeit mit anderen Vorschlägen zu einem Cocktail, der vielleicht sogar der AfD gefallen könnte, wie die Kuratorin Felizitas Stilleke spontan in einem Gespräch sagte. Die Rede ist von der „Bevorzugung von Mittlern aus fernen Ländern, die bereits in Europa leben. Künstler mit dem Vorteil, zwei unterschiedliche Kulturen bereits zu kennen und zu verstehen, garantieren einen gewissen Vermittlungsvorsprung gegenüber Gastspielen und Ausstellungsstücken, bei denen man sich häufig nicht des Eindrucks erwehren kann, der primäre Grund ihrer Einladung ist die ferne Herkunft.“

Zu den denen, die beide Situationen aus eigener Erfahrung kennen, zählt die indische Filmemacherin Madhusree Dutta, die für ihre Arbeit als künstlerische Leiterin der Akademie der Künste der Welt für einige Jahre nach Köln gezogen ist: „Es riecht nach einer kolonialen Agenda, wenn die Diasporagemeinschaften als rechtmäßige Instanz für die Verweigerung des Reiserechts für die im Globalen Süden lebenden Menschen benutzt werden. Einerseits degradiert sie die Diasporagemeinschaften in den reduktionistischen Bereich der Identitätspolitik und stellt sie für immer in den Kontext ihrer ‚Herkunft‘. (…) Was die Künstler:innen aus der Diaspora und die Künstler:innen aus den fernen Ländern präsentieren, sind Produkte unterschiedlicher Realitäten, und es kann nicht unter ein übergreifendes Portfolio postkolonialer Stimmen oder Stimmen aus dem anderen Land gebracht werden.“

Flugkilometer zählen oder nicht-zählen

Einige Künstler*innen sind mit ihren Arbeiten so viel gereist, dass sie genug symbolisches und echtes Kapital erwarben, um jetzt Konzepte zu entwickeln, wie es ohne ihre Anwesenheit geht und die Gehör für ihre Vorschläge zur Abschaffung der Reisen finden. Unter diesen Projekten gibt es viel Franchise, also das Exportieren ein- und desselben Konzepts an verschiedene Orte weltweit. Wieviel Verdrängung soll die westliche Kunst selbst 2020 noch haben, dass für diese Duplikatsaufführungen lokales Können gebunden wird anstatt eigene Arbeiten der lokalen Künstler:innen zu unterstützen. Wie viele bereits absolvierte Flugkilometer braucht es, um erfolgreich 0 Flugkilometer anpreisen zu können? Und sollten die Jüngeren ebenfalls so viele Kilometer bekommen, bevor sie das Reisen einstellen?

Sicher gibt es junge Leute, die von vornherein an klimagerechten Vorgehensweisen arbeiten und neue Praktiken erfinden, nur sollten sie es auf ihre eigene Art tun können. Das vor kurzem zwischen Benin, Brasilien, Belgien, den Niederlanden und Deutschland entstandene Kollektiv Octopus erklärt bereits: “Wir, Octopus Artists Against Neoliberalism, eine Bewegung, die sich für Praktiken zur Bewahrung der Vielfalt der Völker, des Planeten Erde und gegen Völkermord und kulturelle Homogenisierung einsetzt, betrachten es als Illusion, dass alle „Menschen“ gleichermaßen zur Klimakatastrophe und zur Ära des Anthropozäns beitragen. Wir machen dafür das Weißsein und den Eurozentrismus verantwortlich. Wir haben immer noch Möglichkeiten, Kunst zu machen, die nicht mit Ausbeutung verbunden ist, und wir haben bis jetzt dank der von unseren Vorfahren gelehrten Technologien des Widerstands gegen den Kolonialismus überlebt. Wir laden andere ein, ihre Ignoranz aufzugeben und andere Lebens- und Todesarten kennen zu lernen“.

Nicht auf Kosten derer, die ohnehin unter Restriktionen leiden

Der Druck und die Einschränkungen sind omnipräsent und wir müssen wach sein, um in der Problemlage nicht unterzugehen. Denn wir haben es auf längere Zeit mit mehreren Phänomen zu tun, die in ihrem Zusammenwirken der internationale Kulturproduktion schaden und sie hoffentlich nicht ausbluten lassen:

1.) Erstarkende Nationalismen und Grenzpolitiken 2.) weitgehende Reise- und Arbeitsbeschränkungen durch Corona 3.) die In-Fragestellung von Flugreisen im Rahmen der Klimadebatte. Deswegen brauchen wir klug ausbalancierte Vorschläge. Ein Pro- und Contra-Schema wird Fronten herausbilden statt vertretbarer Lösungen. Wir brauchen Texte und Maßnahmen, in denen Klimaschutz, künstlerische Nachhaltigkeit, Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung, Inklusion und Asymmetrien im Umgang mit Corona mitgedacht werden. Es kann viele Modelle geben, die der Lebensrealität der jeweiligen Künstler*innen entsprechen und ihnen und dem Klima zu Gute kommen.

Auf keinen Fall dürfen Klimamaßnahmen auf Kosten derer gehen, die ohnehin schon unter Restriktionen zu leiden haben: statt sich über diese Themen zu spalten sollten wir Künstler:innen solidarisch vorgehen.

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